Erzengel Michael auf der Dorfkirche Steinhagen

Bedeutung vom Erzengel Michael auf der Dorfkirche | 29.09.2022 19:30 | Kommentar von Martin Maschke

Kommentar von Martin Maschke

Mitte Juni 2022 berichtete unter diese Überschrift das Haller Kreisblatt von dem Wirken eines "Vaterländischen Hilfsdienstes" (VHD) im Internet. Vom Verfassungsschutz wird dieser VHD der Reichsbürgergruppe "Bismarck Erben" zugeordnet, für die das deutsche Kaiserreich von 1918 fortbesteht. Der VHD hat sich nun das Mosaik an der Steinhagener Dorfkirche als Werbemittel erwählt: nur das Kreuz im Schild des Erzengels Michael wurde durch das VHD-Logo ersetzt. Die evangelische Kirchengemeinde hatte keine Ahnung von dem zweckentfremdeten Gebrauch im Internet.
Wie kommt dieses ca. 4 Meter Durchmesser große Mosaik an die Westwand des Kirchturms von Steinhagen? Worum handelt es sich überhaupt bei dem Mosaik an der Kirche?

Nach Ende des 1. Weltkrieges wollte auch die Kirchengemeinde Steinhagen ein Denkmal für die im Krieg gefallenen Mitglieder errichten. Die Kirchenvertretung beauftragte 1922, also vier Jahre nach dem Kriegsende, den Düsseldorfer Künstler Wolfgang Pagenstecher mit dem Entwurf eines Ehrenmals zum Gedenken an die Toten des 1. Weltkrieges. Der Künstler schlug vor, rechts und links neben dem Eingangsportal in Mosaiksteinchen die Namen und Todestage der 116 gefallenen Steinhagener Soldaten anzubringen und in einem großen Mosaikbild über dem Eingangsportal das Mosaikbild eines mit einem am Boden liegenden Drachen kämpfenden Engels abzubilden. Der mit rechter Hand ein Schwert schwingende Engel hat offenbar den Drachen besiegt. Ein umlaufender Text verrät in Altdeutscher Beschriftung: "Und wenn die Welt voll Teufel wär".

Soll also mit dem Zitat aus dem Kampflied der Reformation "Ein feste Burg ist unser Gott" ein Bezug zu dem Kampf im Weltkrieg hergestellt werden? Die 3. Strophe lautet: "Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es muss uns doch gelingen". In der Bibel werden uns immer wieder Geschichten von Engeln erzählt. Ein Engel steht aber Deutschland besonders nahe: der Erzengel Michael. Die Schrift stellt ihn als Sieger über den Drachen oder Satan dar. Nach der Christianisierung nahmen gerne neu gegründete Kirchengemeinden den Erzengel Michael zum Schutzpatron für ihre Kirchen. Die Kirche hatte geschickterweise den Gedächtnistag für Michael auf den früheren Erinnerungstag für Wotan, den höchsten Gott der Germanen, gelegt.

Aus dem Kirchenfest am 29. September entwickelte sich ein Termin, an dem zum Ende des Landwirtschaftsjahres viele Aufgaben fällig wurden. Aus dem Michael entwickelte sich der Deutsche Michel mit Zipfelmütze, der nicht unbedingt ein Ausbund an besonderer Aktivität zu sein pflegte.

Michaelis und der "Steinhagener Michael" auf der Dorfkirche

Einladung zu Information und Gespräch
29. September 2022 19:30 Uhr
Dorfkirche Steinhagen

Ob es ein Vorschlag des Künstlers war, oder ob der Hinweis auf den Erzengel Michael schon in seinem Auftrag genannt ist, kann heute kaum noch ermittelt werden. Ein Gesamtdenkmal war es jedenfalls für die gefallenen Steinhagener Soldaten. Sie starben den "Heldentod für’s Vaterland". Auf eine Besonderheit sollte man noch achten: die Flügel des Erzengels Michael schimmern in den Farben des Kaiserreiches schwarz-weiß-rot. Die Nationalfarben der neuen Republik Deutschland waren aber seit 1919 schwarz-rot-gold, von den Gegnern der Republik als "schwarz-rot-Senf" verspottet. Offenbar waren die Bürger Steinhagens seinerzeit bei der Errichtung ihres Mahnmales der neuen Republik nicht zugetan. Dass bei der Werbung des VHD nun das Logo dieser dem Reichsbürger-Milieu zugeordneten Gruppe sich im Schild wieder findet, beruht offenbar auf der Bezugnahme auf das alte Kaiserreich mit seinen Farben schwarz-weiß-rot.

[Anmerkung des Presbyteriums: Die Kirchengemeinde kann nach Prüfung durch das juristische Dezernat der Landeskirche nicht gegen diese missbräuchliche Nutzung des Mosaikbildes vorgehen.]

Nach dem letzten Kriege wurde eine stille Form des Gedenkens an die vielen Opfer des Krieges gewählt: Im Eingangsbereich des Turmes liegt ein Gedenkbuch aus, in dem die Namen der Gefallenen verzeichnet sind. Täglich werden die Seiten dort umgeblättert. An die Gefallenen der Freiheitskriege 1810/1815, der Einigungskriege 1864/1866 und des deutsch-französischen Krieges 1870/1871 erinnert das nicht auf Kirchengrund stehende Denkmal von 1905 vor der Kirche, dessen kämpferischer Soldat mit einem Eichenzweig in der Hand gen Westen schaut. Bis ins 19. Jahrhundert hinein standen dort zwei Häuser, in einem wohnte der jüdische Kaufmann, der später nach Brackwede verzog.

Der siegreich gegen alle Teufel der Welt kämpfende Michael entspricht ebenso wie der gen Frankreich drohende Krieger unserem heutigen Verständnis nicht mehr. Diese Zeitzeichen sollten aber als Mahnung an manche Irrwege deutscher Geschichte uns Lebenden erhalten bleiben, allerdings wäre es hilfreich wenn sie, wie sonst manche Tafeln in unserem Dorf zeigen, ein wenig erläutert würde.

[Anmerkung des Presbyteriums: Zukünftig wird die Kirchengemeinde mit einem Hinweisschild über den oben stehenden Inhalt informieren.]

Martin Maschke

Michaelis und der "Steinhagener Michael" auf der Dorfkirche

Einladung zu Information und Gespräch
29. September 2022 19:30 Uhr
Dorfkirche Steinhagen